Fake facts – Mittelalterliche Geschichtsfälschung
Mit der von Kaiser Otto dem Großen in Chur ausgestellten Urkunde vom 13.Januar 965, in der Öhningen erstmals erwähnt wird, beschäftigt sich die Fachwissenschaft seit langer Zeit. Form und Inhalt werfen Fragen zu etlichen hier aufgenommenen Angaben auf, die bei näherer Betrachtung einfach nicht zusammenpassen. Darauf wies bereits vor 250 Jahren Martin Gerbert ,der geschichtsaffine Fürstabt von St.Blasien hin, ohne freilich den gesamten Inhalt der Urkunde also solchen in Frage zu stellen. Gerbert hegte allein Zweifel an der Identität des hochgerühmten Kuno (illustrissimus Chuono), den er als schlicht verwechselt wähnte.
Heute gilt die Urkunde nachgewiesenermaßen im gesamten Umfang als Fälschung aus einer Zeit,
in der das Nachzeichnen, Radieren bishin zu kompletten Neuschöpfungen nach alten Mustern zwar mit schlimmen Strafen bedacht wurde, gleichwohl aber zum „guten Ton“ gehörte, denn zu keiner Epoche der Menschheitsgeschichte wurde in Mitteleuropa fleißiger gefälscht als in der „Stauferzeit“ des 12./13. Jahrhundert. Es handelt sich um ein ebenso bekanntes wie rätselhaftes Phänomen.
Heute geht die Wissenschaft davon aus, daß es sich bei gut der Hälfte aller z.B. im Hauptstaatsarchiv Stuttgart befindlichen Urkunden aus dieser Zeit um Falsifikate handelt. Ein stattlicher Teil derselben entstand im Kloster Mittelzell auf der Reichenau, als in Zeiten wirtschaftlicher Not Abt Ulrich von Dapfen (1088-1123) und die zwei mit ihm versippten Nachfolger Fridelo und Ulrich von Heidegg darin ein offenbar einträgliches Geschäftsmodell erkannten, derartige Urkunden als Auftragsarbeiten anfertigen ließen und zu diesem Zweck zwei Fachleute engagierten, deren einzige Aufgabe es war, fremde Texte auf ausgedehnten Reisen einzusehen und deren Inhalte in eigene Schöpfungen einfließen zu lassen.
Der Mediävist Dr.Dr.Rudolf Bütterlin erklärt in seinem Vortrag, an welchen Merkmalen die Urkunde vom Jahr 965 als Spurium erkannt werden kann, welche Motive der Fälschung zugrunde liegen können, welche Akteure als Auftraggeber in Frage kommen und wer diese blitzsaubere Arbeit angefertigt haben dürfte.
Es handelt sich um eine spannende Spurensuche.